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Vom Makro-Plasmat zum Prakticar und der VEB Pentacon Dresden.


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Um die mitteldeutschen Objektive einzuordnen: Ihre Wurzeln finden sich in renommierten Optik Betrieben der Vorkriegszeit, hier sollen besonders Carl Zeiss Jena sowie Meyer-Optik Görlitz stellvertretend genannt werden. Betrachten wir die Nachkriegszeit  ab 1945, spielt die Dresdener Fotoindustrie eine entscheidende Rolle als Motor in der Objektiv-Fertigung und Entwicklung.

 

Fast jede Kamera wurde mit einem "Normalobjektiv" ausgeliefert. 

Von 1950-1958 steigerten sich die Produktionsstückzahlen von ca. 5000 auf ca. 14.000 Kleinbild Spiegelreflexkameras der Werke VEB Zeiss Ikon Dresden, VEB Kamerawerke Niedersedlitz und Ihagee Dresden in Summe pro Jahr.

 

Die Objektive der 50er Jahre haben durchweg glänzende Alu-Fassungen, die der 60er Jahre kommen aus der "Zebra-Zeit". Besonders in den 60ern war die Produktion noch sehr speziell und handwerklich.

Viele erstklassige Objektive wie das Lydith, Domigor, Orestor, Orestegon, Flektogon, Sonnar und Pancolar stammen aus dieser Zeit sowie einige modernisierte Klassiker wie das Trioplan oder Primoplan bzw. Biotar oder Tessar. Viele dieser Objektive hatten das höchste Qualitätsprädikat Q1.

 

Über jede dieser Linsen lässt sich eine spannende Geschichte erzählen. Von 1960 bis 1970 wuchs die Produktion von Kleinbild Spiegelreflexkameras auf 200.000 Stck./a an.  Die Praktica nova war die erste in Europa gefertigte Spiegelreflexkamera in Fließbandmontage. Die 100.000ste Praktica nova verließ im Oktober 1966 das Fließband. Innerhalb der Praktica nova Reihe wurde die Praktica mat als erste europäische Spiegelreflexkamera mit Belichtungsinnenmessung (TTL-Messung) zur Leipziger Frühjahrsmesse 1965 vorgestellt.

Somit mussten auch die Produktionszahlen in der Objektivfertigung stetig wachsen. Infolge einer komplexen Rationalisierung von 1960-1989 wurden nicht nur Produktion und Konstruktion sondern auch eine Reorganisation der gesamten betrieblichen Abläufe erforderlich.1969 wurde das VEB Kombinat Pentacon mit 6.200 Beschäftigten gebildet. Die jährliche Produktionszahl erreichte 1984 mit über 400.000 Kleinbild-SLR den Höchststand, danach ging es rasant bergab.

 

Um die Zufriedenheit der Bevölkerung mit dem System zu verbessern, wurde nun ein größeres Augenmerk auf gesteigerte Konsumgüterproduktion gelegt, um den „Bevölkerungsbedarf“ zu befriedigen. Von jetzt an waren bei gleichbleibender Qualität gesteigerte Quantitäten gefragt. Die Qualitätssiegel verschwanden.

 

Bei den Objektiven mit M42-Anschluß wurde dies dadurch erleichtert, daß deren Fassungsaufbau umkonstruiert, vereinfacht und vereinheitlicht wurde. Rationalisierung („Ratio“) lautete dafür das Schlagwort in der DDR. Die Fassungen waren so aufgebaut, daß das kameraseitige Anschlußstück ein vereinheitlichtes Bauteil war, das allen Objektiven gemein war. Es wurde lediglich zwischen solchen mit Druckblende und solchen mit Druckblende und elektrischer Blendenwertübertragung unterschieden. Ob das Objektiv mit oder ohne Blendenelektrik ausgeliefert werden sollte, konnte nun also während der letzten Schritte der Endmontage entschieden werden. Außerdem war der Fassungsaufbau der MC-Objektive nun deutlich entfeinert, ließ sich also besser automatisiert fertigen und kam zudem mit deutlich weniger Kleinteilen aus. Letztere konnten außerdem teilweise aus Kunststoff hergestellt werden, ohne daß sich die Qualität oder Zuverlässigkeit des Objektives verschlechterte. Nur als man in den 80ern die Geradführungsnase von Aluminium auf Plastwerkstoff umstellte, kam es zu Schadensfällen. Zwar gab der Kunststoff der Geradführung quasi selbstschmierende Eigenschaften, aber die hochbelasteten Nasen brachen manchmal ab, wenn der Objektivkörper zum Beispiel beim Abschrauben eines festsitzenden Filters mit einem zu hohen Drehmoment belastet wurde.

 

Aber auch der Fassungsaufbau im Feinoptischen Werk Görlitz wurde immer wieder verändert und vereinfacht. Es wurde weniger massives Aluminium eingesetzt und die Anzahl der Kleinteile immer weiter verringert. Ziel war es, das Normalobjektiv so rationell wie möglich zu fertigen, denn die Praktica L-Reihe entwickelte sich zum Millionenseller und viele dieser Kameras wurden mit dem Pentacon 1,8/50 ausgeliefert. In der Version mit Druckblende kostete es 183,- Mark und mit zusätzlicher Blendenelektrik 230,- Mark. Um die geforderten hohen Stückzahlen zu ermöglichen, wurden diese Normalobjektive ab irgendeinem Punkt in den späten 70er Jahren bei Întreprinderea Optică Română (IOR, Bukarest) gefertigt. 

 

Auf der Leipziger Frühjahresmesse 1979 gab es vonseiten Carl Zeiss JENAs die Neuerscheinungen für das Praktica B-Bajonett, die Prakticare, die für einiges Aufsehen sorgten. Ein Teil davon waren bereits bekannte Konstruktionen, die in den letzten Jahren für das M42-Gewinde eingeführt wurden und nun auf das neuentwickelte Praktica Bajonett umgebaut wurden. Dazu zählten die Prakticare 2,8/20; 2,4/35; 1,8/50; 1,8/80 und 3,5/135. Daneben standen aber auch einige bemerkenswerte Neukonstruktionen, nämlich ein Prakticar 2,4/28; ein Macro-Prakticar 2,8/55; ein Prakticar 2,8/200 und ein Prakticar 4/300. Aber nur das 300er und das Makroobjektiv wurden in nenneswerten Stückzahlen gefertigt. 1987 kamen noch zwei Varioobjektive hinzu, die aber auch nur sporadisch produziert wurden und extrem teuer ausfielen. Das Prakticar 2,7-3,5/ 35-70mm hat 1.570,- Mark gekostet! In den DDR-Fotoläden hat man es aber nie gesehen, nur in Berlin und Leipzig gab es im "Glücksfall" mal eines in homöopathischer Dosis zu bestaunen.

 

Glücklicherweise konnte ich davon eines neulich in meinen Besitz bringen und werde es bei passender Gelegenheit hier vorstellen.

Ein Vario-Sonnar mit M42, auch als Vario-Prakticar 4/80-200mm, wurde noch hergestellt. Mit 2530,- bzw. 2570,- DDR-Mark schwebte es in noch aberwitzigeren Größenordnungen, als das 35-70mm, wenn man sich das Verdienstniveau eines normalen Arbeiters in dieser Zeit (ca. 1000,- Mark der DDR brutto) vor Augen führt.

 

Ab 1985 wurde das VEB Kombinat Pentacon Dresden in das Kombinat VEB Carl Zeiss Jena eingegliedert. Jetzt hatte man in Jena das sagen, Stichwort Mikroelektronik. Zu spät, man hatte sich zu lange auf den Lorbeeren der 60er und der Praktica L-Serie ausgeruht, die elektronische Steuerung verschlafen und musste nun, ein Novum für die DDR, dafür Bauteile aus dem NSW (nicht sozialistischen Wirtschaftsgebiet) beziehen und dafür immer mehr Kameras liefern, die immer weniger einbrachten. Denn längst hatten asiatische Produkte technologisch überholt und als die ersten AF Kameras auf den Markt kamen wurden die Prakticas, nebst Optik, für ein paar Devisen im Westen billig verramscht. 

 

MC Sonnar 3,5/135mm.

 

Dieses Objektiv wurde 1975 zusammen mit dem Flektogon 2,4/35mm vorgestellt. Gerne stelle ich beide demnächst ausführlich vor. Die Konstruktion stammt aus dem Jahr 1965. Nur die Mehrschichtvergütung und die Fassung mit Blendenelektrik waren hinzugekommen. Dieser Vierlinser wurde seit Anfang der 30er Jahre gebaut und blieb bis in die Wendezeit im Programm. Er wurde in sehr großen Stückzahlen gefertigt und ist ein sehr empfehlenswertes Fernobjektiv. Mit 237,- Mark war er in der M42-Variante zudem amateurgerecht preiswert.

Das traf allerdings nicht für das Prakticar zu, das mit 470,- Mark doppelt so teuer ausfiel. Das ist ein gutes Beispiel für die zunehmenden Widersprüche innerhalb der Zentralverwaltungswirtschaft der DDR. Aus politisch-ideologischen Gründen waren sukzessive Verteuerungen von Konsumgüterprodukten, Mieten, Lebensmitteln usw. verpönt. So kam es vor, daß manche Produkte wie Grundnahrungsmittel über die gesamte Existenz der DDR hinweg denselben Preis behielten und damit 40 Jahre Preisentwicklung auf dem Weltmarkt an ihnen vorbeiging. Solche Produkte waren am Ende eine hochsubventionierte Last für den Staat und ein wichtiger Grund für seinen ökonomischen Niedergang. Bei den Konsumgüterprodukten konnte die Industrie die notwendigen Preissteigerungen nur dann durchsetzen, wenn sie eine „Gebrauchswerterhöhung“ nachweisen konnte. Hierbei handelte es sich um einen typischen DDR-Begriff. Eigentlich suggeriert er etwas positives – die Erhöhung des Gebrauchswertes. Für den DDR-Bürger entwickelte er sich allerdings rasch zum Signalwort für verdeckte Preissteigerungen – und damit für den Verfall seiner DDR-Mark. Wie groß das Ausmaß der tatsächlichen Inflation in der DDR war, läßt sich also nur auf Umwege ablesen – zum Beispiel eben an einem solchen Objektiv. Mit dem Einbau des vierlinsigen Sonnars in eine Fassung mit Bajonettanschluß konnte der Hersteller 15 Jahre später dessen Preis endlich auf ein Niveau anheben, bei dem sich die Produktion wieder rentierte. Und dazu mußte er tatsächlich verdoppelt werden.

 

Nichts wirklich Neues mehr gab es aus dem traditionsreichen Görlitzer Hause während der 1980er Jahre. Außer: Der Name des Betriebes wurde immer länger. Nach 1985 hieß er vollständigerweise „Volkseigener Betrieb Pentacon Dresden, Betrieb im Kombinat Carl Zeiss JENA, Betriebsteil VEB Feinoptisches Werk Görlitz“. So einfach war das also. Dahinter verbarg sich nichts anderes, als daß mit der Eingliederung von Pentacon in das Zeiss-Kombinat endlich auch der jahrzehntelang als Hauptkonkurrent angesehene Görlitzer Objektivfabrikant von Zeiss quasi durch die Hintertür „feindlich übernommen“ werden konnte. Das hatte Zeiss nicht einmal während kapitalistischer Zeit geschafft – da war man über Ernemann und Goerz nicht hinaus gekommen. Welch Ironie der Geschichte, daß gerade die sozialistische Zentralverwaltungswirtschaft der DDR marktwirtschaftliche Tendenzen der Monopol- und Trustbildung zur höchsten Vollendung geführt hatte. Natürlich waren die Mechanismen anders gelagert, als im Kapitalismus, aber das Endresultat ist bei naiver Betrachtung schon verblüffend. Auch andere ehemalige Mitbewerber wie die Rathenower Optischen Werke (vormals Emil Busch) waren lange schon im Zeiss-Kombinat aufgegangen. Zeiss war nun Monopolist innerhalb der optischen Industrie der DDR und die Entscheidungen über die Teilbetriebe wurden zentral in der Kombinatsleitung in Jena getroffen – und zwar letztlich in persona des Generaldirektors Wolfgang Biermann. Von solch einer Position jedenfalls hätten die Betriebsführer Rudolf Straubel bzw. August Kotthaus während der Zwischenkriegszeit allenfalls zu träumen gewagt.

 

Es wurde während der 80er noch an einem Spiegeltele und an einem Standardzoom gearbeitet, aber hier kam offenbar nichts über den Prototypstatus hinaus. Fertigungskapazitäten hatte man offensichtlich ohnehin keine. Soweit ma das sagen kann, wurden die Görlitzer Normal- und Wechselobjektive überwiegend oder ausschließlich bei IRO in Bukarest gefertigt, wo seit Ende der 60er Jahre sukzessive entsprechende Fertigungsmöglichkeiten geschaffen worden waren. Der Objektivbau war und ist nach wie vor ein ziemlich arbeitsintensives Metier mit einigem Montage- und Prüfaufwand und in Görlitz hatte man dafür offenbar immer weniger Personalkapazität zur Verfügung. Und auch der Kostendruck schien sich im RGW langsam als Phänomen zu etablieren. In der zweiten Hälfte der 80er werden bei Pentacon-Objektiven Materialeinsparungen durchgesetzt, die ihren Ausdruck in den sogenannten rationalisierten Fassungen („Ratio“) finden. Hier wurde das Metall der äußeren Fassungsteile und des Blendenrings durch Kunststoff ersetzt. Auch der sehr griffige und gestaltungsmäßig gefällige genoppte Gummi am Meterring wurde eingespart. Hier wurde nur noch ein Griffraster ins Plaste gepreßt. Wirklich schlechter wurden die Objektive dadurch nicht, aber für den aufmerksamen Sammler büßten sie doch einiges an Exklusivität ein. Der Preis blieb aber derselbe. 

 

Prakticar Fassung zu Beginn der Fertigung:

 

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Ratio Fassung:

 

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(Gerhard Jehmlich; Der VEB Pentacon Dresden)

(Herbert Blumtritt; Geschichte der Dredner Fotoindustrie)

 

 

 

 

bearbeitet von Aaron
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Danke für diese ausführliche und interessante Zusammenfassung eines wichtigen Teils der Geschichte der deutschen Foto-Industrie. Gerne lese ich mehr davon, bzw. bin ich gespannt auf deine Objektiv-Vorstellungen.

 

LG

HaPe

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Sehr schöner Überblick - vielen Dank.

 

An einer Stelle habe ich etwas nicht verstanden, da fehlt vielleicht ein halber Satz. Du schreibst:

MC Sonnar 3,5/135mm.

 

Dieses Objektiv wurde 1975 zusammen mit dem Flektogon 2,4/35mm vorgestellt. Gerne stelle ich beide demnächst ausführlich vor. Die Konstruktion stammt aus dem Jahr 1965. Nur die Mehrschichtvergütung und die Fassung mit Blendenelektrik waren hinzugekommen. Dieser Vierlinser wurde seit Anfang der 30er Jahre gebaut und blieb bis in die Wendezeit im Programm

Konstruktion aus dem Jahr 65 - gebaut seit Anfang der 30er Jahre? Das müssen ja wohl zwei verschiedene sein, oder?

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